"Ich möchte nicht gestützt auf die Bühne getragen werden "
Lünen, 06.05.1999 von Diethelm Textoris
Lünen. Ein so erfahrener Star wie Freddy Quinn hat meistens eine Menge zu sagen. Vor seinem Auftritt im Hilpert-Theater befragte unser Mitarbeiter Diethelm Textoris den Ausnahmekünstler .
Was treibt einen Mann, der auf den Bühnen der Welt zu Hause ist, auf fünf Kontinenten gesungen hat, in die "Provinz" nach Lünen ?
Auf einer Tournee gehe ich überall dorthin, wo das Publikum mich sehen will. Das kann auch einmal ein kleines Theater wie das in Lünen sein. In Berlin im ICC hatte ich 3.600 Zuschauer. Ich habe ein Familienpublikum, hole Leute vom Fernseher, die sonst kaum in ein Theater gehen. Gestern in Goslar war ein fünfjähriger Junge dabei, ich habe ihn gefragt, ob seine Mutter gesagt habe, es ginge zu den Back-Street -Boys.
Sie sind ein Mann, der auf unzählige Erfolge zurückblicken kann: 50 Millionen verkaufte Tonträger, 17 goldene Schallplatten und 16 Löwen von Radio Luxemburg, Verdienstkreuze der Bundesrepubliken Deutschland und Österreich, um nur einige Auszeichnungen zu nennen. Wenn man Sie auf der Bühne erlebt, merkt man, daß Ihr Erfolg das Ergebnis harter Arbeit ist.
Nichts ist älter als der Erfolg von gestern. Ich betrachte mich als Dienstleistungsunternehmer. Das Publikum bezahlt, und ich sehe es als Verpflichtung, mit eiserner Disziplin mein Bestes zu geben. Das Konzert beginnt pünktlich auf die Minute, ich singe fast vierzig Titel und bin nach zweieinhalb Stunden auch noch offen für Zugaben.
Ihre Show ist so perfekt, jeder Ton sitzt, und auch beim Orchester eine phantastische Klangfülle. Arbeiten Sie dabei mit kleinen Tricks?
Ich versichere Ihnen eidesstattlich, daß jeder Ton live und echt ist. Ich habe eines der besten Orchester mit fast Zwanzig ausgezeichneten Solisten, u.a. Philharmonikern, für diese Tournee zusammengestellt. Was brauche ich da Playback? Wenn Sie dagegen bei manchen meiner Kollegen das Band abstellen, kommt nur noch heiße Luft. Ich begann meine Karriere im Zirkus als Musiker und Akrobat. Artisten sind ehrlich, sie strengen sich für 30 Zuschauer genauso an wie für 3.000.
Wenn man Ihre Lieder hört, gewinnt man den Eindruck, Sie seien ein unpolitischer Mensch.
Ganz im Gegenteil, ich bin ein ausgesprochener Gerechtigkeitsfanatiker, bin als Kosmopolit, der sieben Sprachen spricht, bin gegen jede Art von Rassismus und gegen jeden Krieg. Nach erfolgreicheine Auftritten im damaligen Südafrika wurde ich nicht mehr eingeladen, weil ich mich gegen die Apartheit ausgesprochen habe. Ich erhielt eine Auszeichnung in der Türkei, weil ich mit "Istanbul ist weit" etwas für die deutsch-türkische Verständigung getan habe. Und haben meine Lieder "100 Mann und ein Befehl" oder "Heimatos", die ich auch heute abend singen werde, durch die Ereignisse im Kosovo nicht neue Aktualität gewonnen?
Sie sind 45 Jahre im Showgeschäft. Haben Sie schon einmal ans Aufhören gedacht? Dies ist meine letzte Gesangstournee, aber ich mache selbstverständlich weiter. Im nächsten Jahr spiele ich wieder in "Große Freiheit Nr. 7" die Rolle, die einst Hans Albers spielte, danach folgt mit John Osborns "Entertainer" ein moderner Klassiker. Ich hoffe, daß ich auch einmal den "Mackie Messer" spielen kann und warte auf eine attraktive Filmrolle. Mit Zadek habe ich gearbeitet, Faßbinder wollte mich, aber er ist dann leider verstorben. Ich werde solange weitermachen, wie das Publikum mit mir auf der Bühne nicht Mitleid zu haben braucht. Aber ich möchte meinem Publikum nicht zumuten, daß ich von zwei Männern gestützt auf die Bühne getragen werde.
Diethelm Textoris
Erschienen in der Westfälischen Rundschau/Westdeutschen Allgemeine Zeitung Lünen am 06.05.1999
(Copyright Diethelm Textoris)

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