Der Rennsteig Radwanderweg- eine sportliche Alternative zum weltberühmten Fußwanderweg
„Diesen Weg bin ich oft gegangen.“ Ich meine den Rennsteig. Erstmalig kurz nach der Wende, als nicht mehr in Neuhaus ein Schild das abrupte Ende bekannt gab und er wieder in ganzer Länge begehbar war. Ich vergesse nie die Eindrücke an den ehemaligen Grenzanlagen, das eigenartige Gefühl, die Füße auf den „Todesstreifen“ zu setzten, um mal eben die Grenze nach Bayern zu überschreiten. Von den späteren Wanderungen blieben mir die Gespräche mit den Einheimischen in Erinnerung, die Erzählungen von der Zeit „vorher“, als man nur mit Bewachung auf dem Friedhof in Grenznähe die Gräber der Angehörigen besuchen durfte. Und auch die landschaftlichen Eindrücke hatte ich gespeichert, die Ausblicke von den Höhen, die idyllischen Waldwege, die verwitterten Grenzsteine und nicht zu vergessen eine Glühweinpause am Großen Beerberg an einem frostklirrenden Oktoberabend. Als ich von der Existenz des neuen „Rennsteig Radweges“ erfuhr, war es klar, dass es mich reizte, des Thüringer Wald auch einmal aus der Perspektive des Radfahrers zu erleben.
In Hörschel am Beginn des Rennsteigs stecke ich mir einen Kieselstein in die ohnehin schon schwere Gepäcktasche. Es ist eine alte Tradition aller Rennsteigwanderer, einen Stein von der Werra zur Saale zu tragen.

Hörschel ist mit 196 m der tiefste Punkt des gesamten Radwanderweges, und in der Hitze des späten Nachmittags beginnt gleich ein gewaltiger, 36 Kilometer langer Anstieg zum Inselsberg. Bereits nach wenigen Kilometern ist am Clausberg „Auftanken“ angesagt, 1 Liter Apfelschorle ist im Nu heruntergespült. (Anmerkung 2008: Die öffentliche Gaststätte am Clausberg existiert nicht mehr)
Jetzt geht es vorbei am Vachaer Stein mit Blick auf die Wartburg und an einem als Malteserkreuz gearbeiteten Steinkreuz mit dem schönen Namen „Wilde Sau“. Zum Glück führt der Radweg nicht, wie der Original-Wanderweg, über nahezu jeden Hügel, häufig führt er als bequemerer Weg links und rechts um die Kuppen herum. An der „Hohen Sonne“ mache ich eine erneute Trinkpause. Während kurz nach der Wende hier nur eine einfache Verkaufsbude stand, aus der das Bier in Plastikbechern gereicht wurde, ist jetzt hier eine ausgebaute Raststätte entstanden, die bei schlechtem Wetter auch einen Aufenthalt im Inneren bietet. Nur das ehemals fürstliche Jagdschloss ist immer noch mit einem hohen Bretterzaun vernagelt und lässt den Glanz aus Carl Augusts Zeiten nur noch vage erahnen.
Nach knapp vierstündigem kontinuierlichem Treten und der Überwindung von etwa 500 Höhenmetern erreiche ich das Hotel am Kleinen Inselberg. Erfreulich sind nicht nur die relativ zivilen Preise für Übernachtung und Restauration, die hervorragende Haxe mit den Thüringer Klößen sorgt für den notwendigen Kalorienausgleich. Zufrieden mit der Leistung am Anreisetag lasse ich mich müde ins Bett fallen.

In der Kühle des nächsten Morgens sind die letzten 200 Höhenmeter zum 916 Meter hohen Großen Inselsberg fast eine bequeme Spazierfahrt. „Wie kommt man denn hier mit dem Fahrrad hoch?“ will ein „Autowanderer“ von mir wissen. „Einfach den Wegweisern mit dem grünen „R“ und dem abgebildeten Fahrrad nach, dann an der Grenzwiese einen 5 km langen Abstecher über die Straße machen, und schon sind Sie oben.“ „Natürlich dürfen Sie das Trampeln nicht vergessen,“ füge ich noch an. Die folgenden Tage werden noch heißer, doch ich habe mich inzwischen eingefahren und die Freude über die Kraft in den Beinen lässt sogar die Anstiege in der Mittagshitze zum Genuss werden. „Ist es nicht ein bisschen warm?“ fragt ein Spaziergänger. „Wenn man schnell genug fährt, kühlt der Fahrtwind.“ Diese scherzhaft gemeinte Aussage hat sogar einen wahren Kern, denn das durchgeschwitzte T-Shirt kühlt ganz angenehm den Rücken.

Es gibt auf der Tour viele landschaftliche Höhepunkte und Sehenswürdigkeiten, von denen ich hier nur ein paar erwähnen kann: das Feuchtgelände der Ebertswiese mit einer reichhaltigen Flora, das Saukopfmoor, Masserberg mit seiner Augenklinik, die Patienten wurden hier übrigens als „Okkulanten“ bezeichnet, die mit einem Löwenkopf verzierte Werraquelle, Friedrichshöhe mit 37 Einwohnern die kleinste Gemeinde der ehemaligen DDR, der Stasi-Bunker bei Frauenwald, dann ein kurzer Besuch in Bayern nach Steinbach am Wald und schließlich ein Abstecher in die Glasbläserstadt Lauscha.
„Ein großes Bier ist bei uns immer ein Liter“, meint der Wirt Roland Mahler im Gasthaus „Zum Grünen Baum“ in Brennersgrün, „aber Sie sehen aus, als könnten Sie es auch gebrauchen.“ Es ist 19:00 Uhr, ich bin rechtschaffen geschafft und ich will mir die letzen 20 Kilometer bis zum Rennsteigende für den nächsten Tag aufbewahren. „Kann man bei Ihnen auch übernachten?“ „Ja, und das zum augenblicklichen Sonderpreis von 21,- € für Abendessen, Übernachtung und Frühstück.“ Es ist kaum zu glauben, denn die Zimmer haben Dusche/WC und TV, Wirtin Iveta zaubert als Abendmahlzeit eine deftige Portion Gulasch mit böhmischen Knödeln und beim Frühstücksbuffet am Morgen scheint sich der Tisch zu biegen.
 
Auf de letzten Etappe lege ich noch eine Pause in Grumbach in der Gaststätte „Zum Frankenwald“ ein. Gemütlich ist sie, hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Irgendwie schwankt die Atmosphäre zwischen Dorfgasthaus, „Schmugglerkneipe“ und Wohnzimmer. Der Wirt Sven Neukirchner ist Sammler von Bieretiketten und hat Produkte seiner Sammelleidenschaft auch ausgestellt.
Am Ende des Rennsteigs in Blankenstein haben viele Wanderer ihre ausgetretenen Schuhe und ihre durchschwitzten Hüte im wahrsten Sinne des Wortes an den Nagel gehängt. Ich werfe meinen Stein in die Saale. Eigentlich müsste ich an dieser Stelle traditionellerweise noch tanzen und dabei das Rennsteiglied singen, aber ich schwinge mich wieder auf meinen Drahtesel, denn ich will noch saaleabwärts zu den Stauseen und ins thüringische Schiefergebirge. Aber das ist bereits wieder ein neuer Reisebericht.

Erschienen in der Zeitschrift "Der Weit- und Fernwanderer", Nr. 77 1/2005
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