hütte  
Begleiten Sie mich auf meinen Wanderungen  
  zurück zu Wander-und Trekkingtouren ::
   
 

GR 20 Korsika



Bavella Berge
Weg zum Col de Bavella

„Ich bin im Himalaja schon auf harten Trekking-Strecken unterwegs gewesen, aber keine hat meinen Körper so geschunden wie diese Wanderroute auf Korsika,“ meint die Österreicherin, die wir an den Bergeries d’Alzete treffen. Der GR 20 ist mit anderen Wanderstrecken nicht vergleichbar, enorm anstrengend, aber auch erlebnisreich und eindrucksvoll. Eine echte Herausforderung also für Odo Strieder und mich, die sich vor 12 Jahren bei der ersten gemeinsamen Korsika Durchquerung vorgenommen hatten, sich mit Sechzig Jahren noch einmal diesen Anforderungen zu stellen.

Start GR 20 Odo StriederStart GR 20 Tex

Wir starten im kleinen Ort Conca im Süden der Insel. Damit schwimmen wir gegen den Hauptstrom der Wanderer, die im Norden beginnen. Da wir bei letzten Mal ebenfalls die Nord-Süd Richtung genommen haben, ergibt sich jetzt der Vorteil, dass wir die gesamte Route aus einem anderen Blickwinkel erleben und nicht der Sonne entgegen laufen müssen. Außerdem gilt der südliche Abschnitt als der einfachere, so dass wir uns langsam steigern können. Doch auch dieser Abschnitt hat es in sich. Das Thermometer zeigt schon morgens 26 Grad, und bereits am ersten Tag müssen wir 926 m Aufstieg und 160 m Abstieg bewältigen. Das ersetzt einige Saunagänge. Odo, der vor mir geht, markiert mit seinen Schweißtropfen den Weg. Als wir gegen 17:30 Uhr an der Paliri Hütte ankommen, sind wir rechtschaffen geschafft. Und trotzdem sollte dies die kürzestete und einfachste Tagesetappe gewesen sein. Am Morgen bekommen wir mit, wie ein Hubschrauber eine Wanderin abholen muss, die akute gesundheitliche Probleme hat.

Blick zurück nach ConcaPaliri Hütte auf Korsika

Am nächsten Tag müssen die Bavella Berge überwunden werden, neben den 1000 Aufstiegsmetern gehen mir vor allem die über 400 Meter Abstieg in die Knochen. Am späten Nachmittag, noch Stunden vom Ziel entfernt, brennen mir die Füße, doch erst mit dem letzten Licht des Tages erreichen wir die Asinau Hütte. Leider sind bereits alle Betten belegt, der Guardian weist uns mit fünf weiteren Schlafgenossen und -genossinnen  einen Platz in der Küche zu. Tische und Bänke werden beiseite geräumt, damit entfällt für uns natürlich auch die Möglichkeit, uns noch etwas zu essen zu kochen. Auf dem dick mit Staub belegten Fußboden werden Matratzen ausgelegt. Eine Mitwanderin versucht vergeblich, mit dem Besen gegen den Dreck anzugehen, lässt es aber, weil der aufgewirbelte Staub die Umstehenden zum Husten anregt. Außerdem wird er ja von den Matratzen bedeckt, die dadurch natürlich auch nicht sauberer werden. Lange schlafen können wir am nächsten Morgen nicht, denn um halb fünf versuchen die ersten Frühaufsteher, zwischen uns hindurchzustapfen, um sich einen Kaffe zu kochen.

Col de BavellaNotlager Asinau Hütte

Erster Höhepunkt ist der Mont Incudine, mit 2134 m die höchste Erhebung Südkorsikas. Leider verschlechtert sich am Nachmittag das Wetter, so dass wir nicht wie geplant an den Ruinen der Pedinelli Hütte im Freien biwakieren können. Wir entscheiden uns für den Abstieg nach Zicavo, einem Bergdorf in 730 m Höhe, wo es ein Hotel geben soll. Doch der Weg dorthin zieht sich, zunächst über einen Wirtschaftsweg, dann über enge, alte Muli-Pfade. Einmal werden wir von mehr als 30 halbwilden Schweinen  verfolgt, die glauben, wir hätten etwas Leckeres für sie im Rucksack.

Incudine

An der Chapelle San Petru wären wir gern länger geblieben, zumal uns eine französische Urlauberfamilie zum Glas Rotwein einlädt. Aber wir müssen uns beeilen. Trotzdem geraten wir an diesem Tage noch in die Dunkelheit. Mit dem Schein der Stirnlampen suchen wir im Wald den kaum noch als Weg erkennbaren Pfad und die dazugehörigen Wanderzeichen, kämpfen uns über glitschige Steine abwärts. Um 22:05 Uhr erreichen wir das „Hotel du Tourisme“. Die Wirtin hat noch ein Zimmer für uns, aber die Küche ist längst geschlossen. Doch eine Portion Käse reicht auch als Abendessen. Am meisten freuen wir uns über die Dusche, denn nach drei Tagen schweißtreibender Wanderung und einer Nächtigung auf einem verstaubten Hüttenboden möchte man doch einmal duschen, egal, ob man es nötig hat oder nicht.

EinladungHotel du tourisme Zicavo

Beim Aufstieg von Zikavo am folgenden Tag erleben wir den nächsten Wettereinbruch. Ich weiß nicht, ob Odo vor mir oder hinter mir ist, weil ich ihn schon zwei Stunden nicht mehr gesehen habe. Ich lege eine Pause ein und versuche, ihn mit dem Handy zu erreichen, bekomme aber kein Netz. Auf dem Boden hinterlasse ich eine Nachricht, die er lesen kann, falls er hinter mir ist und marschiere weiter. Nach wenigen Minuten erblicke ich ihn, unter einem Baum an einer Quelle sitzend. In seine Regenhaut gehüllt, wartet er auf mich und friert vor sich hin. Doch er hat eine Suppe vorbereitet, die zwar schon ziemlich verkocht ist, die aber unsere Lebensgeister zurück bringt. Die Wolken werden noch dichter, auf dem berühmten Denkmalsgrad können wir von den bizarren Steingebilden kaum etwas erkennen .Odo ist ein Stück vor mir, bis ich ihn wieder aus den Augen verliere. Als ich in dicken Nebelschwaden gegen 20:30 Uhr die Usciolu Hütte erblicke, kommt er mir mit einem Bier entgegen. Das macht einen guten Wanderkollegen aus. Und die letzten Betten hat er auch schon für uns reserviert.     

Odos KochkünsteEntsorgung an der Usciolu Hütte

An der Quelle bei der Bocca di Laparu grüßen wir eine ankommende Wandergruppe freundlich mit „Bonjour“. „Wir können auch deutsch sprechen“.  Ich bin an meinem Freddy Quinn T-Shirt mit der Aufschrift „Weit ist der Weg“ als Deutscher identifiziert worden. Das Hemd löst Verständigungsprobleme, und vermeidet, dass man mit Deutschen französisch spricht. Einigen von den Gruppenmitgliedern steht der Angstschweiß auf der Stirn. „Mehrere von uns haben Höhenangst, wir haben vor Jahren die Wanderung schon nach dem ersten Tag abgebrochen, jetzt wollen wir es noch einmal versuchen. Wie ist es am Incudine? Ist es dort steil?“  Odo beruhigt sie: “Wenn ihr den Denkmalsgrat schafft, schafft ihr den Rest auch.“ Aber leider ist auch der Denkmalsgrat für Ängstliche nicht gerade gut geeignet.

An der Punta de Muratellu gibt plötzlich das Profil meine Schuhe nach, die linke Schuhsohle hat sich von der Spitze bis zu Mitte gelöst. Kein fester Halt mehr unter den Füßen. Was tun? Odo ist zur Onda Hütte vorgegangen, die noch etwa eine Stunde entfernt ist. Ich nehme einen Gurt aus dem Rucksack und befestige damit die Sohle. Es hält. Jedenfalls vorläufig. Ich komme bis zur Hütte. „Odo, es gibt Probleme, meine Schuhe sind kaputt.“ Odo entgegnet: “Meine  sind auch hinüber. Oben am Pass kamen plötzlich meine Zehen seitlich heraus.“ Er hatte seine Schuhe mit Schnüren notdürftig repariert.

Odos kaputte SchuheKaputte Wanderschuhe

Mit unseren lädierten Schuhen können wir auf keinen Fall weiter wandern. An der Bergerie Tolla lassen wir unsere Rucksäcke zurück, marschieren zwei Stunden bis zur Bedarfshaltestelle Savaggio, wo wir den „feurigen Elias“, die korsische Inselbahn erreichen. Es folgt eine knappe Stunde Bahnfahrt bis nach Corte. In einem Sportgeschäft erstehen wir ein paar neue Bergschuhe. Gut, dass es Kreditkarten gibt. 24 Stunden später sind wir wieder bei unserem Gepäck und können die Tour fortsetzen. Leider muss ich mir unterwegs eine Zerrung in der linken Wade geholt haben. Jeder Schritt tut mir weh. Doch schon bald darauf kann ich wieder schmerzfrei gehen. Ich weiß nicht, ob es das Wasser der Bergerie Tolla war, mit dem ich das Bein gekühlt habe, oder ob die Tolla Spezialität „Frischer Ziegenkäse mit Zucker und Schnaps“ das Wunder bewirkt hat.

Neue Schuhe aus CorteZiegenkäse mit Schnaps

Es folgen noch viele ermüdende Auf- und Abstiege über Geröll und Felsen mit Tagesetappen von 9 bis 13 Stunden, schwindelerregende Hängebrücken-überquerungen,  atemberaubenden Ausblicke in Schluchten, auf Seen und über die Höhen bis hin zum Meer. Am Cirque de la Solitude müssen wir in fünfstündiger Kletterei Ketten und Leitern überwinden. An der Breche di Capitello überrascht uns ein schweres Gewitter. Es kracht es von allen Seiten. Wir kauern uns an den Boden, weil kein anderer Schutz vorhanden ist. Die Hände werden steif vor Kälte, eine gute halbe Stunde prasselt der Regen auf uns nieder. Als wir aufstehen, sind wir von Hagelkörnern bedeckt. 

Gewitter kündigt sich anNach einem Gewitter auf dem GR 20

Schließlich liegt nach 15 Wandertagen und 200 Kilometern Calenzana im Norden der Insel vor uns, in der Ferne erblicken wir die Zitadelle von Calvi. Nachdem wir im Ort zwei Bier getrunken haben und unsere Übernachtung in der Gite d´Etappe bar bezahlen mussten, sind unsere Bargeldvorräte bis auf wenige Cent erschöpft. Es gibt eine Bank aber keinen Geldautomaten, und wir haben nach einer Mammuttagestour einen Bärenhunger. „Gut dass es Kreditkarten gibt“, haben wir bereits beim Kauf der neuen Wanderschuhe gesagt. Aber ganz so einfach ist die ganze Sache diesmal doch nicht, denn in der Hochsaison denken die Wirte gar nicht daran, Kreditkarten zu akzeptieren. Doch schließlich finden wir einen Patron, der ein Herz für uns hat. „Aber die anderen Gäste dürfen nichts davon mitbekommen.“ Wir belohnen ihn, indem wir wie die ausgehungerten Bettler speisen und eine Zeche wie die Könige machen.

CalenzanaKreditkartenmahlzeit

Natürlich haben wir am nächsten Tag auch kein Geld mehr für den Bus und müssen ein Taxi nehmen. Mit dem fahren wir nach Calvi zum nächsten Geldautomaten. Eine Unterkunft finden wir allerdings nicht. Wir fahren zurück nach Bastia und genießen dort noch drei Ruhetage bis zu unserem Rückflug. Genug Muße, um Bilanz zu ziehen. Wir sind stolz auf unsere Leistung, haben jedoch auch unsere Grenzen erkannt. Der GR 20 stellt enorme Anforderungen an Mensch und Material. Wir haben ihn mit vielen Mühen geschafft, unsere Schuhe mussten wir entsorgen. Umgekehrt wäre schlechter gewesen.

BastiaRelaxen in Bastia

Erschienen (gekürzt) in den "Ruhr-Nachrichten" Dortmund, Ausgabe Lünen, am 28. Oktober 2004 und (komplettt) in der Zeitschrift "Der Weit- und Fernwanderer" Nr. 79 3/2005

Zwei 50-jährige auf dem GR 20

Informationen

Führer:
Topo-Guide „A travers la Montagne Corse: GR 20 »
Federation Francaise de la Randonnée Pedestre
14, rue Riquet, 75019 Paris
(enthält Kartenausschnitte 1:50.000)

Deutscher Führer u.a. beim Conrad Stein Verlag
Trans-Korsika GR 20, Outdoor Handbuch Nr. 40 386686-040-4

Karten:
1:25.000 oder 1:50.000, herausgegeben vom Institut Geographique National

Unterkünfte:
Hütten am Wege, weitgehend einfache Unterkünfte(Mehrbettzimmer) und Bewirtschaftung, Mahlzeiten nur zu festen Zeiten am frühen Abend, deshalb gewissen Verpflegungsvorrat mitnehmen. Schlafsack sehr zu empfehlen. In den Hauptreisemonaten Juli und August können die Hütten voll sein. Bevorratungsmöglichkeiten unterwegs sind begrenzt möglich.
Hotels:
Vizzavona (direkt am Weg)
Castel Verghiu ( kleiner Abstecher)
Le Chalet, Haute Asco
Zelten und Biwakieren nur bei den Hütten oder an ausgewiesenen Stellen erlaubt. (Nationalpark)

Anreise:
Flüge von diversen deutschen Flughäfen nach Bastia,  Calvi, erhebliche Preisunterschiede
Bus zum Start sowohl im Norden als auch im Süden, 
Fähren von: Nizza, Marseille, Genua, Livorno, La Spezia u.a. nach Calvi und Bastia

Telefon:
Nach Korsika 0033, nach Deutschland: 0049

Beste Reisezeit:
Ende Juni bis Ende September, Schnee ist bis Anfang Juli und Ende September nicht auszuschließen

Für die Begehung ist eine gute Kondition, Trittsicherheit und absolute Schwindelfreiheit erforderlich, man sollte in der Lage sein, mit Gepäck täglich zwischen 6 und 10 Stunden bei erheblichen Höhenunterschieden auf weitgehend felsigen Wegen und auf ausgesetzten Steigen zurückzulegen,
Weglänge 200 Kilometer, Zeit etwa 16  bis 18 Tage für die gesamte Strecke.