Wo der Westweg nach Süden führt
Er heißt „Westweg“ und führt nach Süden. Trotzdem trägt er seinen Namen zu Recht, denn er ist der Westlichste der Schwarzwald-Höhenwege. Berühmt und beliebt seit nunmehr 110 Jahren. Auf einer Länge von fast 300 km mit 10.000 Höhenmetern führt er von Pforzheim nach Basel und verbindet zehn der höchsten Gipfel über 1000 Meter miteinander. Eine Strecke nur für sportliche Aktivisten? Nicht nur. Dass er auch von Wanderern über sechzig gut bewältigt werden kann und ihnen viel zu bieten hat, konnten mein Mitwanderer Klemens Nottenkemper und ich am eingenen Leib erfahren.
Start in der Mittagssonne
Die Mittags-Sonne knallt vom Himmel, als wir in Neuenbürg vor den Toren von Pforzheim starten. Schnell lassen wir das idyllische Örtchen mit seinen malerischen Fachwerkhäusern, der Blumenpracht an den Ufern der Enz und dem hoch auf dem Berg thronenden Schloss unter uns. Nach gerade mal 4 km und 200 Anstiegsmetern gönnen wir uns an der Schwanner Warte die erste Pause und stärken uns mit einer Suppe. Die schmeckt wie von Herrn Knorr und Frau Maggi in Liebe gekocht. Danach müssen wir noch kräftig ausschreiten, denn bis zum Dobel haben wir noch weitere 8 km und nochmals 200 Höhenmeter zu bewältigen.
Verborgene Schätze unterwegs
Unterwegs treffen wir auf weitere Westwegwanderer, u.a. auch die 27-jährige Ann-Kathrin, die immer wieder in den Büschen am Wege verschwindet. Klemens fragt sich, ob sie wohl von Magen- und Darmproblemen geplagt ist. Bei einer Nachfrage verrät sie, dass sie neben dem Wandern auch dem Hobby Geocaching nachgeht und auf dem kurzen Stück bereits 26 „Schätze“ im Wald gefunden habe.
Beim Frühstück im „Rössle“ am nächsten Morgen bemerken wir, dass wir uns beim Abendessen wohl ein wenig zu laut unterhalten haben, denn unsere abendlichen Tischnachbarn Tom und Andrea Daun können nahezu alle Gesprächsinhalte wiedergeben. Tom verrät uns dann, dass seine Neugier auch berufsbedingt ist. Er ist freiberuflicher Reporter und Moderator beim Deutschlandfunk und macht einen Bericht über den Westweg. Er lädt uns zu einem Interview-Termin ein, bei dem wir von unseren Erfahrungen berichten sollen.
Ein Regentag ohne Einkehrmöglichkeiten bis zum Nachmittag
Der dritte Wandertag von Forbach im Murgtal zum „Ochsenstall“ an der Hornigsgrinde stellt eine echte Herausforderung dar: 1.200 m Aufstieg und 8 Stunden reine Gehzeit. Schon hinter der Schwarzenbach-Talsperre gießt es wie aus Eimern. Auf den schmalen Wegen kommt uns das Wasser in Sturzbächen entgegen, er Untergrund ist steinig und glitschig, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht ausrutschen und im Nebel keine Wegmarkierung übersehen. Nach einiger Zeit gibt unsere Regenkleidung den Kampf auf und lässt einen Teil der Nässe ins Innere bis zur Haut vordringen. Wir trösten uns mit der Aussicht, dass es am Wege ja einige Einkehrmöglichkeiten gibt. Die erste erreichen wir dann aber erst gegen 16.00 Uhr im Gasthaus „Große Tanne“ bei Unterstmatt. Alle andren Häuser unterwegs hatten entweder Ruhetag, oder sind, wie die riesigen Kurhäuser „Sand“ und „Hundseck“, wohl für alle Zeiten geschlossen.
Seen, Moore, Heide und schöne Ausblicke
Der weitere Weg f ührt uns an den nächsten Tagen vorbei am sagenumwobenen Mummelsee, den wir wegen des Touristenansturms in „Rummelsee“ umtaufen, zum Hochmoor- und Heidegebiet des Schliffkopfs, zum nostalgischen Höhenhotel Alexanderschanze, das der 85-jährige Walter Gaiser als Ein-Mann-Betrieb führt, zum Harkhofbauern, wo alle Speisen und auch der Schnaps aus Eigenproduktion stammen und schon die Matratzenlager die Qualität eines Himmelbetts haben, bis nach Hausach.
Ein Steilaufstieg, der es in sich hat
Dort beginnt der bei allen Westwegwanderern gefürchtetste Streckenabschnitt, der Aufstieg zum Farrenkopf. Auf kürzester Entfernung sind 550 m Steilaufstieg zu bewältigen. Klemens leistet den Anstieg mit Bravour, ich eher mit der Entdeckung der Langsamkeit. Der Weg ersetzt gleich drei Saunagänge und jeden Lungenfunktionstest. Und trotzdem hat man auf dem Farrenkopf erst ein Drittel der Tagesetappe zur Wilhelmhöhe geschafft.
Genussstrecken im Südschwarzwald
Im Vergleich zum Farrenkopf kommen uns die Anstiege zum Feldberg, Belchen und Blauen der nächsten Tage schon fast wie ein Kurweg vor, zumal wir vielfach mit einem herrlichen Ausblick belohnt werden. Den haben wir auch vom Zimmer des „Talblick“ am Wiedener Eck, einer urigen Bauernhof-Pension, wo uns zum Frühstück frische Kuhmilch, selbstgefertigte Butter und Joghurt gereicht werden.
Ziel erreicht
Nach 13 Tagen haben wir das Ziel des mit einer roten Raute stets gut markierten Westwegs erreicht. Wir haben uns an der abwechslungsreichen Landschaft erfreut und jede Menge nette Menschen kennengelernt. Nur ein Rätsel konnte ich bei dieser vierten Westwegwanderung nicht ganz lösen: Wie schafft es der Schwarzwaldverein, jedes Mal die Wege länger und steiler und die gleichen Berge immer höher werden zu lassen?
Gekürzt erschienen in den "Ruhr Nachrichten" Dortmund, Lokalausgabe Lünen im September 2013
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